Betrachtungen

Früh, heiliger Tag. Nicht arbeiten müssen. Auch nicht arbeiten wollen. Nur was einem wirklich Spaß macht. Dazu gute Musik. Wirklich gute, beruhigende. Noch keine Lust aufs Frühstück aber zufrieden, auch ohne Geld. Mal sehen, was der Tag bringt. Vielleicht besucht mich jemand, vielleicht auch nicht. Eben mal sehen. Geduld.

Seilschaften hängen am seidenen Faden, manchmal auch Nerven. Aber die sind nicht so schwer. Deswegen reißt der Faden nicht so oft. Meistens. Schreib auf, warum du nicht schreiben kannst. Ich las es und es gefiel mir. Lies dann, warum du nicht schreiben kannst und dann weißt du es. Aber vielleicht kannst du ja schreiben.

Geteilter Himmel über Berlin. Dieses Mal ist keine Luftbrücke möglich. Es gibt keine Verbündeten mehr und der Sonderbeauftragte für Verfassungsschutz nennt sich Christ und spricht den Antichristen heilig. Der Klang des Martinhorns wurde vertauscht gegen Sirenen und Odysseus mußte ein zweites Mal auf Wanderschaft. Nur mit dem Unterschied, daß er dieses Mal nicht zurückkehren sollte.

Und plötzlich wieder Leere. Ein Gerüst wird entfernt. Der Lärm ebbt ab, etwas jedenfalls. Doch der Dreck bleibt und setzt sich fest. Wer sollte ihn auch beseitigen, da er schon fest und hart ist in den Köpfen und auf den zu reinigenden Flächen auch noch die kleinste Vertiefung verklebt. Der Sommer ist gegangen und Lethargie ist gekommen. Wer die Welt nicht mehr versteht, muß kein Surrealist sein und der Gezeitentunnel hat sowieso schon lange die Pforten geschlossen, um der Flut Einhalt zu gebieten. Aber es ist zu spät und der Schlamm, welcher sich absetzte, spült schon die ersten Städte hinweg und löscht die letzten, auflodernden Feuer mit schleimiger Lust.

Nun schlagen die Hämmer wieder gegen die Wände und der Sommer versucht noch einmal, seine verlorengegangene Position zurückzuerobern, ohne daß er auch nur die geringste Chance hat. Die Menschen haben den ewigen Winter gewählt und warten auf die nächste Eiszeit.

Ruhe - das Hämmern hat für kurze Zeit aufgehört. Wie lange wird sie anhalten? Vielleicht bis zum jüngsten Gericht, das kann schon morgen sein. Oder wird nicht schon in unser aller Mitte gerichtet? Sitzen nicht die Teufel im Zeugenstand und Milliarden kopfloser Körper in den Reihen der Angeklagten? Werden nicht schon die Feuer der Hölle geschürt? Siedet nicht schon das Wasser, in den, den Verurteilten zugedachten Kesseln? Und die elktrisch verstärkten Staatskünstler wetzen ihre Instrumente und spielen mit manigfaltigen Todesmärschen auf und bereiten den Schmorenden doppelte Qual.

Ein leeres Fenster blickt trüben Auges auf morschende Hölzer. Doch wen stört das schon? Werden doch daraus sowieso keine Bäume mehr erwachsen und Leere breitet sich sowieso mit Lichtgeschwindigkeit aus, überall und in jede Richtung. Miss Germanistik verfängt sich in einer Zeitschleife und nachdem die Welt an ihren Ursprung zurückgekehrt ist, findet Einstein eine neue Lebensgefährtin. Stars and Stripes, Kometen und Schweife im alltäglichen All. Schwarze Löcher und rote Riesen balgen sich um die Vormachtstellung im Universum und Leonard Bernstein dirigiert die letzte Supernova.

Friede zieht ein. Auf dem Hof wird es immer ruhiger. Die Arbeiter werden nach und nach abgezogen, verschwinden in tiefen Sumplöchern und hinterlassen eine sinnliche, göttliche Stille. Eine innere Ruhe durchströmt mich, beherbergt Lebenslust und Armut, Glück und Befreiung von der weltlichen Last und droht meinen Körper in dieser Ekstase auseinanderzureißen und die sterblichen Reste in alle vier Himmelsrichtungen zu wirbeln.

Im dunklen Laternenschein zieht ein Mörder seine Runden. Wartet auf seine Opfer, schon seit Jahren und weiß zu seinem Glück nicht, hegt er doch noch Hoffnung in seinem Kopfe, daß niemand, der sich Opfer schimpft, auch nur einen seiner Wege kreuzen wird. Wartet er doch da, wo es zu morden nicht mehr lohnt. Am Scheidefluß, zwischen Leben und Tod, wo ein einsamer Fährmann seinen altersschwachen Kahn durch die trüben Fluten steuert. So wird er wohl alt werden, ohne sein Geschäft erneut verrichtet zu haben und eines Tages dahinscheiden. Aber er wird den Fluß nie überqueren können. Fehlt ihm doch, ob mangelnden Auftrags in seinem Berufe, das nötige Geld um den Fährmann zu entlohnen und als unruhiger Geist wird er ewig in der Welt sich winden.

1991