Blindflug
Todesmutig betrat er die Box. Die Wandverschalung glänzte in mattem Schimmel und ihm wurde instinktiv bewußt, daß hier irgendetwas nicht stimmte. Er rümpfte die Nase und bestieg seine Maschine und - erstarrte. An der Ölanzeige klemmte das Foto seiner Mutter mit einer fast unleserlichen Aufschrift:
"Blind bleibt blind, da helfen auch keine Flugstunden!"
Nur langsam gelang es ihm seine Fassung wiederzugewinnen und er ließ den Motor an. Nachdem er schon so ein Stündchen geflogen war, wurde ihm plötzlich schlecht. Er dachte das wären die Nachwirkungen der letzten Nacht, in welcher er mit Freunden unmäßig gezecht hatte. Doch der Grund war ein anderer. Die Maschine füllte sich nämlich mit unbändigem Gestank und er konnte einfach nicht ausmachen, woher dieser kam. Er setzte einen Funkspruch an den Tower ab, erntete aber nur unflätige Worte und Gelächter. Und ihm schoß durch den Kopf, irgendjeman wollte ihn fertigmachen. Er nahm Kurs auf den Flughafen und fing an per Funk die Flugwache zu bedrohen und jeden einzelnen von denen namentlich zu beleidigen. Doch die scherten sich einen Dreck darum und machten Feierabend. Das war ihm nun doch zuviel und Tränen der Wut stiegen ihm in die Augen. Und für ihn war es klar. Dieser Tag bleibt nicht so friedlich, wie er anfing.
Er schaltete den Autopiloten ein, trank zwei Flaschen Jim Beam um sich Mut zu machen und kramte sein Adressbuch raus, in welches er jeden, der irgendwie auf seinem Heimatflugplatz arbeitete, eingetragen hatte. Um absolute Handlungsfreiheit zu haben, gab er die Adressen in den Bordcomputer ein und ließ diesen eine Route erstellen.
Als erster war der Wartungsmechaniker dran. Mit einem Seil ließ er sich bis auf einen Meter hinunter und als das gesuchte Haus erreicht war, riß er die Eingangstür aus den Angeln, warf dem Gesuchten eine der ausgetrunkenen Flaschen an den Kopf und rief: "Jetzt ist der Spaß auf meiner Seite!", was bei diesem äußerste Verblüffung und eine schwere Gehirnerschütterung hervorrief. Die zweite Person, die es aufzusuchen galt, war der Fluglotse, welcher einer religiösen Gärtnereisekte angehörte und die Bartnelken als Propheten verehrte. Mit dem Ausruf: "Wer keine Blumen frißt, ist noch lange kein Vegetarier!" und unter etlichen Flüchen, verwüstete er mit einem Stecken den größten Teil der Beete und bestreute sie mit brennenden Lumpen, mit der Gewißheit, daß dies dem Lotsen mehrere Monate Nervenklinik einbringen wird.
Und so klapperte er Straße um Straße, Haus um Haus ab und gab sich erst zufrieden, nachdem er auch dem letzten seine Art von Humor dargestellt hatte. Gerade für diesen letzten aber, hatte er sich etwas Besonderes einfallen lassen.
Er landete vor dessen Haus, überwältigte ihn, schleppte ihn in die Maschine und startete durch. Nachdem sie eine Höhe von etlichen tausend Meilen erreicht hatten, band er ihn am Steuerknüppel fest, schnallte sich den einzig vorhandenen Fallschirm um und stellte ihm, bevor er den Autopiloten abschaltete, eine Broschur mit dem Titel "Wie werde ich ein Kamikaze-Flieger?" vor die Nase, verabschiedete sich höflich und sprang in die Tiefe.
1995