Der Tumor

Es war einmal ein Tumor, welcher sich dem Stammvater der Menschheit an den Kopf heftete, in ihn eindrang und sich mit den Nachfahren zusehends vermehrte. Man gewöhnte sich an dieses Anhängsel und gab ihm, vielleicht bewußt oder auch nur aus einer Laune heraus, den Namen Gehirn.

Das Problem aber, daß die Menschen sich erst viel später darüber klar wurden, was in ihrer Schädelschale vor sich ging, trieb viele auseinander und ließ sie Streit anfangen. Die einen sagten: Das sind wir, das ist das ICH; andere wiederum behaupteten einem Schöpfer auf der Spur zu sein.

Doch dann gab es welche, die verehrten das Finkefeuer und den Starkmotor und sie nannten sich DIE ZEUGEN YAMAHAS. Sie beschworen die neue Weltphilosophie, die Philosophie der drei gekreuzten Kreuze und gaben den Völkern Mut und Verwirrung. Sie predigten gegen die Doppelfettstufe und schworen dem Himmel ewigen Unsinn. Ein Stern aus den Gefilden des Totalabsurdums hüllte sie in ein gütig schwarzes Licht und ließ sie gewähren. Der allmächtige OKK wurde ihrer gewahr und gab sie in die Obhut eines ewigen, weltlichen Trolls, welcher sie dazu anhielt, ihre Gedanken schriftlich niederzulegen.

Oh, welcher Jubel und welche Traurigkeit entlud sich nun auf der Erde, diesem porösen und kränklichen Planeten. Ein jäher Gestank entlud sich aus den schreienden Mäulern und nach bangen Minuten wurde den Leuten gut zugesprochen, ein sauberes Laken unter die Erde gelegt und eine Schlägerei angezettelt, die es in sich hatte.

Aber man vertrug sich bald wieder, löschte die Lampen und ging auf Wanderschaft, um neue Gefilde unrein zu machen. Doch die sogenannten Denkenden schlugen einen anderen Weg ein, öffneten ihre Schädel und entfernten diese schmarotzenden Tumore, gewillt eine neue Zukunft anzustreben. Aber sie konnten nicht wissen, daß ein paar aussätzige Wissenschaftler ihre Tat beobachteten, sie auswerteten und den erworbenen Kenntnissen eine Lehre entnahmen, welche sie Mnemologie nannten.

Und es gab auch Jünger dieser Wissenslehre, welche sie aber noch weniger verstanden als ihre Entdecker und in ihrer Verzweiflung Freude vortäuschten. In den Köpfen war eine innere Spannung, Gewürm kroch durch die Windungen, fraß sich auch manchmal einfach quer durch, sonderte klebrige Sekrete ab, verklebte sich selbst, verstarb und wurde neu geboren.

Bald kam ein Tag, an dem sich alle so erschöpft hatten, daß es kein Entrinnen gab und alle plötzlich vorgaben zu denken, zu handeln und zu täuschen. Es wurde Deutschland gegründet und man tat sich keinen Zwang mehr an. Die Menschen wurden betrogen und erfreuten sich sogar daran, konnten sie es sich doch leisten, so mannigfaltig hatten sie es schon selbst getan. Sie lachten über ihre Boshaftigkeit, erzählten sich Geschichten über eine kommende, noch bessere Zeit, ahnten sie doch nicht, daß etwas ganz anderes geschehen würde.

Weil einer, der sich da nannte JA, den Menschen einen solchen Garaus machte, daß nicht einmal der Ritterkönig der deutschen Nation, welcher die Menschen, die diesem Volke angehörten, in eine Enge trieb, die noch kein Völkermensch je gesehen hatte. Und in der Verzweiflung kam man wieder auf das Hirn zu sprechen. Man nannte es dieses Mal Gedanke und stolzte sich damit, was nicht überraschend war, so seltsam klang es. Ha, war da eine Überraschung noch ein zweites Mal, war doch das Staunen auf der Seite der Stauner.

Und die Volksfotze ließ nicht ab. Sie begehrte Einlaß in den heiligen Tempel der Unvernunft und wollte den Zins raffen, welcher bestimmt war für manchen, der nicht existierte. Aber niemand bemerkte diesen Frevel und so verarmten alle, ohne daß sie es bemerken wollten. Die Köpfe qualmten so vor sich hin, versuchte man ja noch zu denken und die Welt wurde angefüllt mit stinkenden Dämpfen und Hilfe ward nicht zu erschauen.

Nur einige trugen eine ehrliche Verzweiflung in ihren Herzen und sie tranken schäumenden Brandwein um diese beißende Glut zu löschen und ihrer Verbitterung Herr zu werden. Sie wollten nicht glauben an diese kaiserschnittlich geborenen siamesischen Zwillinge und an die Wortführer, welche mit Geblabber die operativ getrennten Körper mit Sachunkenntnis und folgendem Wundbrand wieder zusammenfügten.

Und nun humpelte der jetzt Vierbeiner, mal vor- und mal rückwärts und griff mit seinen vier Händen in alle vier Himmelsrichtungen, hatte die Kraft der zwei Herzen und den Hohlsinn der zwei Köpfe. Die Chirurgen aber lachten und lachten, konnten sie sich doch vorstellen, oder vielmehr wußten sie es genau, was für einen Mutanten sie in die Welt gesetzt hatten.

1992