Die Geschichte
In einer Mitternachtsstunde zerfiel das Reich in tausend kleine Brocken und ein Hufeisen wurde gegen den Kirchenturm geworfen. Die ganze Welt war erschrocken, die Glocken läuteten den letzten Tag ein, das Fest war vorbei.
Warum gerade ich, rief ein einsamer Pfaffe. Er wußte nicht, daß er nur benutzt worden war und der Klerus setzte ein breites Grinsen auf. Die roten Mäntel wurden voller Abscheu abgeworfen, ein Autodafe wurde abgehalten, die Schuldigen wurden aufgerufen und allerortens entflammten blakende Scheiterhaufen wertlosen Geschenkpapiers, schickten ihre rußenden Flammen bis in die sieben Himmel unter den Thron Gottes. Das Laster durfte wieder Einzug halten und die Volkspolizei war machtlos ob der Schandtaten, welche in rasendem Fegefeuer den Stadtkern zu erreichen suchten. In dieser Zeit nun ritt ein einsamer alter Mann auf einer Sau durch die Hauptstraßen, begleitet vom Troß der Apokalypse. Er war sich dessen wohl bewußt, daß er alleine seinen Weg bestreiten mußte, aber ebenso genau hatte er seine Aufgabe unverfälscht vor Augen.
Eine rote Verkehrsampel gebot der Gruppe Halt. In Rauch und Gestank gehüllt, unterschieden sie sich kaum von der ehernen Blechlavine, die grölend und tosend ihre Bahn kreuzte und auf ihrem Wege schon so manchen Pedestranten unter sich begraben hatte. Am quecksilberfarbenen Himmel konnte man die Szenerie wie in einem Spiegel betrachten und ab und zu fiel ein großer schwefliger Regentropfen zur Erde und brannte das Zeichen des Bösen in das frisch lackierte Dach einer Sportkarosse.
Es wurde Grün und unaufhaltsam ging es vorwärts. Der Mann spornte die Sau zu scharfem Ritt und schwenkte einen Stecken um die Richtung anzuzeigen. Sein langes, graues Haar wehte wie eine Flamme im Winde und gab seinem Kopf eine züngelnde Aura. Er hatte es eilig, sehr eilig, den noch bevor das neue Jahr anbrach, galt es die Mission zu beenden. Ein eisiger Hauch umspielte seinen Nabel, doch in seinen Augen brannte das Feuer der Ewigkeit. Von seinem Throne herab hatte er nicht viel ausrichten können, um der Schlechtigkeit seiner Kreaturen Einhalt zu gebieten. Drum sattelte er eine Sau, nach dem Menschen das unreinste aller Geschöpfe und fuhr mit seinen Begleitern vom Himmel geradewegs zur Erde hernieder, inmitten der Tunguska-Senke. Schon einmal hatte er diesen Ort zum Ausgangspunkte einer Mission erwählt, nur das jene damals, vor mehr als siebenundsiebzig Jahren, auf Grund einer Fehlentscheidung erfolglos abgebrochen werden mußte. Denn er hatte beschlossen ohne die apokalyptischen Reiter aufzubrechen und die Menschenkinder nahmen ihn nicht ernst, so allein und auf einer Sau.
Aber jetzt war er gewappnet. Er schaute sich um und genoß lachend, ein Lachen, das die Straße beben machte, wie die Leute in panischer Angst in ihre Häuser flüchteten, als sie seiner Gefolgschaft gewahr wurden. Er war auf dem Wege nach Jerusalem, auf dem Wege in die Stadt, die ihm einst zu Ehren einen Tempel errichten ließ und er wollte mahnen und richte. Denn gerade in dieser Stadt war eine Gottlosigkeit, machte doch jeder was er für richtig hielt und das im Namen seiner Person und unter Vereinnahmung seiner Gebote. die Einen nannten ihn Vater des Sohnes, die Anderen das heilige Wir und dritte behaupteten, er sei der allmächtige Herrscher nur einen Volkes und alle schlugen aufeinander ein um ihrer Behauptung Nachdruck zu verleihen.
In rasendem Galopp hielt er Einzug und seine Begleiter brachen die Stadttore aus den Angeln und schlugen so manchen Frevler, der sich ihnen in den Weg stellte, mit Brand und Pestilenz. Die Gruppe verweilte auf dem Tempelberg. Es galt Rat zu halten, ob des weiteren Vorgehens. Nun wohnte dort auch ein Mann, den alle Alois den Vollstrecker nannten. Er wohnte dort schon seit mehr als siebzig Jahren und man hatte sich an ihn gewöhnt.
Gekleidet in ein Ziegenfell, sich ernährend von den Blättern der Myrte, verbrachte er die Nächte damit, Geröll zu großen Haufen aufzuschichten, um diese dann, begleitet vom Klang des ersten Hahnenschreies mit höllischem Getöse zu Tale zu schicken.
Mehrere Versuche ihn dingfest zu machen waren schon gescheitert, verstand er es doch, sich bei den ersten Anzeichen einer Verfolgung in einem selbstgeschaffenen Tunnelsystem nahezu unauffindbar zu verbergen.
Pünktlich mit Einbruch der Dunkelheit begann er auch diese Nacht sein verderbendes Werk, erleuchtet vom Licht seiner verwirrten Phantasie. Durch das Geräusch der aufeinanderschlagenden Steine erwachte die Sau und weckte durch ihr verschlafenes Quieken die lagernde Horde.
Der greise Mann blickte sich mit müden Augen um, raufte sich seinen Rauschebart und erspähte Alois, wie der gerade eine Ladung Gestein umwuchtete und die ersten Felsen den Hang überwanden. Er rüttelte seine Begleiter, die noch in einem schnarchendem Tiefschlaf lagen und schickte sie das Geschehen zu erklären. Nach einer guten Stunde kehrten diese zurück, in ihren kräftigen Armen den zappelnden Übeltäter, gefesselt mit dem Gürtel seines Ziegengewandes.
Man zündete einen Kien an, um ihm das Antlitz zu erleuchten und plötzlich mußten alle lachen.
Derjenige, den alle Alois nannten, war kein Anderer als ein vor langer Zeit von Gott gesandter Racheengel, welchen man über die Jahre ganz und gar vergessen hatte und der noch immer seinen Auftrag ausführte, den man ihm damals gereichte.
1991