Der Morgenappell

Alle standen in einem Kreis. Nur Rudi hatte ein Problem. Er hatte sein Halstuch vergessen. Frau Schmidt sah ihn zornig an. Rudi wußte, was er zu tun hatte. Er öffnete seinen Schuh, entfernte die Socke, welche an seinem Fuß mehr schlecht als recht hing, nahm sein Taschenmesser, trennte die Naht auf und hing sich die Socke um den Hals.

Frau Schmidt schaute verdutzt, denn damit hatte sie nicht gerechnet. Auch Herr Lehmann, der Direktor der Schule, konnte sich ein leichtes Schielen nicht verkneifen. Ein Wind entfuhr ihm und das Lehrerkollegium rümpfte kollegial die Nasen. Ei, was für ein Spaß und das noch vor dem Frühstück. Frau Krüger, die Geschichtslehrerin, fiel sogar in Ohnmacht, denn dies war mehr, als der Gestank der gesamten menschlichen Geschichte.

Nachdem eine frische Morgenbrise die Überreste des Direktorabendbrotes neutralisiert hatte, begann der Pionierleiter mit der Sprechprobe. Die Schüler wurden immer unruhiger, scharrten mit den Hufen und schnaubten einen Akkord. Dann begannen sie ihre Butterbrote nach vorne zu werfen. Braunschweiger, Leberwurst, Camembert und sogar etwas Seelachsschinken war dabei. Die Lehrer befleckten ihre weißen Westen, die Versammlung löste sich in Chaos auf und Rudi ging mit seiner Halssocke nach Hause.

Endlich Ferien!

1993