Orpheus und Efeu
Ein Fahrzeug hält vor dem Bühneneingang der Deutschen Oper. Orpheus, ein verkannter Harfenspieler und gleichzeitig der Fahrer des Automobils, betätigt mehrer Male die Hupe und nachdem nichts geschieht steigt er aus dem Wagen und läutet an der Pforte, auch diesmal keine Reaktion. Er schlägt mit der Faust an die Tür und begehrt mit lautem Rufen Einlaß, da seine Geduld am Ende ist. Plötzlich ertönt eine Stimme, dem Fassadenkletterer Efeu zugehörig.
EFEU: Welcher substantivierte Klärbolzen rangelt hier mit kaleidoskopischer Nachtfaltigkeit an Haus und Tor? Stell dein Begehren ins offene und hoffe auf Antwort!
ORPHEUS irretiert durch die Stimme: Aah, sei nicht laut so und gib Bescheid, daß wer da ruft auch wirklich ist. Schon erst ich dachte die Stimme Gottes befragte mich und nun seh ich, gemeiner als gemein, die simple Gärtnergusche auf mich schaun. Ich bin der Orpheus, bekannt durch gute Liedgesänge und hab die Arbeit heut an diesem Hause dem Pöbel Kunst ans Herz zu legen. Vertu die Zeit nicht länger und komm von deiner Häuserwand! Eröffne mit dem Messingschlüssel den Weg für mich und danken werde dir nicht ich, sondern das euphorisch feiernde Publikum, nachdem es lernte, wie diese Muse es in Bannung zieht.
EFEU: Ich komm ja schon, ich komm ja schon! Nur braucht es seine sichre Zeit, den Boden wiederzugewinnen. Und außerdem ein andres Wort. Wie kannst du Gärtner mich benennen, wo eine Arbeit mich bekleidet, die nicht nur schwerer ist und schöner, sie gibt mir auch an frischer Luft den Weitblick über das Geschehen. Fassadenklettern ist mein Gewerbe und Nützlichkeit kommt noch dazu und zu dem Ganzen kann ich als Pförtner immer dienen, doch Gärtner war ich nimmer. So öffne ich die Pforte jetzt, daß du beweisen kannst, was deinem Munde schnell entfloh.
ER SCHLÄGT MIT HARTEM KNALL AUF DEN BODEN, RAPPELT SICH AUF, KRAMT NACH DEM TÜRSCHLÜSSEL UND ÖFFNET ORPHEUS DIE TÜR, WELCHER WÄHREND DES GESPRÄCHES DUTZENDE KOFFER UND TASCHEN AUF DEN STUFENABSATZ GESTELLT HATTE UND DAMIT DIE MÖGLICHKEIT DER TÜRÖFFNUNG SEHR EINSCHRÄNKTE, WAS EFEU NATÜRLICH IN WUT UND ERSTAUNEN VERSETZTE UND ER VERSUCHTE EMPÖRT ORPHEUS DARÜBER KENNTNIS ZU VERSCHAFFEN, DOCH DER BESCHÄFTIGTE SICH SCHON MIT GANZ ANDEREN DINGEN.
ORPHEUS: Schön wohl, schön ist diese Räumlichkeit, nur fehlt der Stil, der meiner Werke würdig ist. Ich werds versuchen, auch ohne bauliche Veränderung und diesen Leuten Wort um Wort in tätlicher Umrandung so zutragen, daß jeder wissentlich im Kopfe weiß, das ist kein Schattenspiel, noch Frevel, nein Staatskunst in reinlichster Erbauung wird hir dem Volke zugetan. Komm lieber Efeu, spute dich, du darfst jetzt mein Gepäck aufnehmen und mir dann folgen, in grader Spur, der Garderobe zugewandt, die du mir noch zu zeigen schuldest.
EFEU sehr verdutzt ob der Tatsache, daß man ihn zum Pagen abstempelt: Kannst dein Gelump alleine tragen, es ist genug der Freundlichkeit, wenn ich erzürnt, doch guten Willens, den Weg dir zur Kabine zeige, wo Kleider du dir passend machen und deine Kunst erproben kannst, bevor ein Urteil du dir leistest, daß dieses Publikum in diesem Hause dir Jubel angedeihen läßt.
DOCH ORPHEUS, IMMER NOCH IN GEDANKEN, RENNT BEREITS IN DEN DUNKLEN FLUR, STOLPERT IN DER DUNKELHEIT ÜBER EINE REINEMACHEFRAU, STÖßT DEN EIMER MIT DER REINIGUNGSFLÜSSIGKEIT UM UND GLEITET IN DIESER AUS. EFEU, JETZT VÖLLIG VERSTÖRT, LÄßT SICH AUF EINE DER TASCHEN SINKEN UND HÖRT DEPRIMIERT DEM GEZETER DER ÄLTEREN DAME UND DANN DEM DARAUFFOLGENDEN STREITGESPRÄCHE ZU, WAS SEINE LAUNE EIN WENIG AUFBESSERT, IST DIESER STREIT DOCH VOLLER KRAFT UND WÜRZE UND DER SIEGER NOCH UNGEWIß.
FRAU: Immer rinn da junger Mann, meinen sie ick arbeite hier aus Kunsverpflichtung. Auch wenn sie eine Künstlerfresse bekleidet, Sie werden hier jeden Tropfen wieder in den Eimer zaubern und wennet bis Mitternacht dauert!
ORPHEUS: Aber meine Dame, die Vorstellung! Sie könnten es niemals verantworten, meinem Publikum diese güldne Kunst vorzuenthalten. Und immerhin ließ ich Ihnen eine Entschuldigung angedeihen, ein Zeichen tiefster Verachtung, oh Entschuldigung, tiefster Verehrung und Achtung. Und nun tun Sie Ihre Pflicht und lassen Sie mich meiner Wege gehen, die Probe ruft, mit lautem Schall.
FRAU: Vorstellung, Vorstellung, ick hör hier immer Vorstellung und Probe und sonstewatt. Sie können mal bei mir vorstellig werden und probieren ob Sie det Wasser wieder in den Eimer rinnbekommen, ansonsten jibts watt mit dem Schrubber!
ORPHEUS: Oh Gott, Ahnherr der Musen, befreie mich von diesem Banausengewächs. Laß Schwefel und Feuer auf sie regnen, auf daß sie abläßt von schändlicher Tat oder fülle ihren Gülleeimer, so daß sie mich aus ihrer zehrenden Umklammerung entläßt und ich meinen Werken frönen kann!
EIN DONNERN LÄßT DIE RÄUMLICHKEITEN ERBEBEN, TÜREN SCHLAGEN AUF UND ZU, ALLE ERSCHRECKEN UND ERSTARREN GLEICH SALZSÄULEN. UND GOTT, AUS EINER MUßESTUNDE AUFGESTÖRT, LÄßT SEINE ZORNIGE, ABER NOCH ETWAS VERSCHLAFENE STIMME IN DEN SONST SO FRIEDLICHEN HALLEN ERKLINGEN.
GOTT: Nicht einmal hab ich mich gedreht im Schlafe, schon wird durch schlechter Mund Gebete, jäh Interruptus hier betrieben. Welch ungeruchte Schwefelstimme, aus tiefer Schlünde Unvernunft, erzürnt mich mittels dieser Tat und gibt mir vor mich einzumischen, in sinnlos aufgetürmten Streit, der meiner Würde sich nicht ziemt!
ORPHEUS: Zu Boden werf ich mich darnebst, wenn Du mit zweigeschnittnem Schwert, das Recht und Unrecht mir verheißt, die Klärung bringst in diesem Fall, oh Gott, mit Inbrunst bitt ich dich am Ort, laß Kunst und Muse Rettung angedeihen! GOTT: Nein! sag ich als Richterspruch. Vorerst sollst Du die Schlacke tilgen, die Du in bloßer Trottelei durch falschen Schritt zu Boden brachtest. Und um Besinnung dir zu geben, will ich, daß arbeit du verrichtest, noch mehr als erster Spruch besagt. Die große Halle sollst du wischen, der alten Dame zugetan und Schuld soll Dir vergeben werden, in ewig aller Zeiten jüngstem Hochgericht!
2. Szene
ORPHEUS SITZT NACH GETANER ARBEIT MIT DURCHWEICHTEN HÄNDEN, WUNDEN KNIEN UND NASSEN KLAMOTTEN IN DER KÜNSTLERGARDEROBE UND MURMELT FLUCHEND VOR SICH HIN. DURCH DIE GESCHLOSSENE TÜR HÖRT MAN DAS LACHEN UND KEIFEN DER REINEMACHEFRAU. ER RINGT DIE HÄNDE, HEBT DEN KOPF UND HÄLT EIN AUF EINSEITIGKEIT BERUHENDES ZWIEGESPRÄCH MIT GOTT, MANCHMAL AUCH GEBET GENANNT:
Oh, Herrscher, wer hat den Kopf Dir nur verrücket, daß Du mit Schmach mich auf die Schmiere warfest. Und ich mit zarter Künstlerhand hab polieren müssen, welches mich tragen soll, auf meinem Weg zum Welterfolg. Hast Du den Teufel konsultiert, den größten aller Kunstbanausen, so daß er seine Mutter schickt, mich niederträchtig bloßzustellen, um mich an meinem Werk zu hindern, das ich zu offerieren hab. Bot er Dir Privilegien an, das Flammenreich mit ihm zu teilen, oder ist Hochmut hier die einzige Erklärung, Verkennung des Naturtalents? Gib mir ein Zeichen, lösche meinen Zorn, verbann die Wut aus meinem Herzen! Denn wil ich spielen heut zu Abend und spielen muß ich in der Tat, gilts Kopf und Seele rein zu machen von jedem lästigen Gedanken. Soll ich zu Blasphemie mich hier bekennen, nur weil Du mir Dein Ohr nicht leihst und bittre Galle in mir förderst, die grünlich das Gesicht verfärbt? Nein guter Mann, mein Stolz verbietet dieses Tun, nicht lüstern will ich Dir, ich werds Dir zeigen und selbst Dein Gefolge soll heruntersteigen von Deinem Watte-Wolken-Himmels-Thron und mir zu Fuß am Boden liegen, wenn ich des Bühnenreichs gekrönter König bin. Sie werden Dich die Schande merken lassen, die Du mir sträflichst aufgebürdet und reuend wirst Du dann bekennen ' Ich tat ihm Schlechtes, mit heilig, ignoranter Unvernunft '.
WIRD (EVENTUELL) FORTGESETZT...