Der Putsch
FICKELSCHERER / RICHTER
Jetzt ist wieder Zeit. Ein Eimer Wasser steht im Zentrum der Stadtmitten, es schwimmt ein Korkenstück darinnen. Etwas fehlerhaft zwar und dennoch funktionabel bewegt sich das zeitverheißende Stöcklein in der Brühe und ein einsamer Wächter füllt aus einem Bottich das verdunstende Wasser nach. Aus allen Regionen kommen die Leute um die Stunde zu wissen, sie sich zu notieren und heimwärts in die Dörfer zu tragen. So ist es hier stets voll und rege. In dieser Betriebsamkeit erinnern sich die Menschenkinder immer weniger an das Ereignis, welches dieses Provisorium hervorbrachte und keiner konnte so recht erklären, wie die Zeit ehemals ge- und vermessen wurde. Der Unterschied zwischen jetzt und damals, der unter der Kodierung "Früher war es anders" gefroren liegt, soll nun mit einer Rotlichtglumpe wieder aktiviert werden. Wie es jetzt ist, weiß ja jeder, dreh - Wie war es dazumals? - Licht aus, Licht an.
In einer lauen und Frühlingsnacht kam die Erreichnis der Wende - Prophetie zu einem losen Konsortium, in Heimlichkeit genannt die '4 P - Bande' und löste großes Wehgeschrei aus. Ein Mond ging am Himmel auf, ein Name wurde genannt und eine Einigkeit erzielt. Man wußte, es gilt zu handeln und der Name war 'Putsch'.
Der Putsch, das waren wir - wir vier. Aus einem vagabundierenden Rucksack versorgten wier uns mit einer Familienfahrkarte nach Gera und zurück; warum auch ist ja schnurz. Der Zug war überfüllt. Hin und zurück! Einer im Abteil rief: "Nie wieder gesottene Schweinshaxen!" Und wier wußten sofort, ja, wier handeln nicht falsch. In der Stadt wieder gegenwärtig, wurde ein Stammlokal aufgesucht, der weitere Ablauf geplant und nach dem letzten Humpen riefen wier wie aus einem Munde: "So soll es sein!"
Was wollten wier aber in Gera? Wier hatten dort eine gemeinsame Bekannte, die Blusenschmied war. Sie machte Blusen wie das Volk sie wollte. Das Volk wollte blaue, wier also auch. P. nahm eine M 36, P. eine G 38, P. eine M 48 und P. eine G 48. Und alle Blusen waren mit dem stahlgelben Zeichen des Lichtes versehen und sie sollten uns zur Tarnung dienen. Nun in dieser Zeit also stand im Mitten - Punkt unserer Stadt ein Mahnmal, welches aber auch funktionelle Bedeutung hatte. Man nannte es Weltenzeituhr. Und sie war eine; und was für eine! Steuerte sie doch wahrhaftig die Weltenzeit. Und gar nicht einmal schlecht.
Da stellten wier uns also darunter, unter die Mittagszeit von Mexico-Stadt, wie unter einen Sombrero. Allen vieren hing uns eine Lichtfalle, Kamera genannt um den Hals und wier sächselten uns langsam warm, wußten wier doch, daß Minderheiten voll-, willkommen Gäste waren. Alle wußten stets woher, niemand fragte nach wohin. Und fragte man die Passierer nach der Weltenzeituhr, ganz unuhrkundig, lachten alle fröhlich.
Und jetzt machte P. die Sau aus seinem Kopf raus, denn alles war klar. Wier zogen in losem Zuge über den Platz, zwei von uns gingen in den hier befindlichen Inter-Chopp und fragten verlegen nach einer Strumpfhose Größe 6 und einem Stück Apfelseife, worauf die Belegschaft in grobes aber nicht unfreundliches Gelächter ausbrach. P. aber und P., die beiden anderen, labten sich an den vielfältigen Titten am Neptunbrunnen. So entstanden tolle Fotos für so manche Matrazenregatta.
1992